Weihnachten im Hier und Jetzt

Kürzlich habe ich mich gefragt, wie wäre wohl Weihnachten im gegenwärtigen Moment, ohne Vergleiche mit der Vergangenheit und ohne die Vorstellung von Morgen? Was wäre ohne die ganzen Erinnerungen an die wohligen oder stressigen Zeiten mit Baum oder ohne, mit Weihnachtsbraten oder ohne, mit all den richtigen und falschen Geschenken und lauten oder stillen Momenten. Der ganze Körper reagiert auf die alten Prägungen von Wärme und Kälte, Düften und Geschmäckern, der Nähe in Gemeinschaft oder der Distanz beim Alleinsein.

Wir können uns der äußeren Bewegung nicht entziehen, während die Natur ihren jährlichen kleinen Tod vollzieht. Alles zieht sich nach innen zurück, das Licht weicht schneller der Dunkelheit und eine unspektakuläre Stille macht sich breit. Warum fällt es uns Menschen so schwer dieser natürlichen Bewegung zum Jahresende einfach zu folgen? Wie ist es möglich, dass wir diese notwendige Ruhepause und Innenschau oft erst durch Erschöpfung nach termingefüllten Feiertagen mit anstrengenden Beziehungen und maßloser Völlerei erfahren? Und selbst dann, folgen wir nur widerwillig unserem Körper, denn längere Pausen passen nicht wirklich in unseren fordernden Alltag und zu den Plänen fürs neue Jahr. Was wäre, wenn es uns gelingt wie die Natur uns nach innen zurückzuziehen, um im Frühling des neuen Jahres unser natürliches Potenzial sprießen und im Sommer erblühen zu lassen?

Ach wie schön wäre das, höre ich einen Teil von dir denken, aber …

… da ist er wieder, dieser unbändige jugendliche Antreiber in dir, welcher Schwäche mit Lebensgefahr und Stille mit dem Tod verwechselt. Er hält das Gedankenkarussell mit all seinen Vorstellungen, Fragen und Zielen in Schwung. Er muss alles verstehen, er muss alles richtig entscheiden aber vor allem muss er immer etwas tun. Warum? Weil sich sonst in körperlicher und geistiger Stille ein Raum öffnet, für all die gut gehüteten Gefühle, welche immer noch so bedrohlich erscheinen. Er flüstert dir ins Ohr – Du musst es nur ZU lassen! – und meint es wörtlich. Die Suggestion funktioniert zu deinem Schutz. Dieser mächtige innere Anteil hat dich in ein eigenmächtiges Leben außerhalb deiner Ursprungsfamilie geführt und schützt dich heute noch zuverlässig vor der kindlichen Abhängigkeit mit seinen bedrohlich erlebten Gefühlen. Er ist wie ein Ritter, der mit Schild und Schwert das Herz des Kindes kämpfend hinaus ins eigene Leben trägt und nicht sehen kann, dass seine Rüstung das lebendige Herz genauso begrenzt, wie die Festungsmauern der alten Familie. Er hat dir einen ewigen Schwur geleistet. Er schützt dich vor den ängstigenden Gefühlen in dir und erkämpft das, wonach sich dein inneres Kind so sehr sehnt, Sicherheit, Geborgenheit und bedingungslose Annahme.

Wie wäre es, wenn du jetzt in diesem sicheren gegenwärtigen Moment deinem Ritter erlaubst, seine Rüstung für ein paar Minuten abzulegen, so wie die Bäume sich im Herbst vom Laub entledigen. Du brauchst jetzt keinen Schutz, denn du bist gar nicht in Gefahr. Erlaube ihm sich auszuruhen und gönne seiner Rüstung, Schild und Schwert etwas pflege. Gib deinem lebendigen Herz im sicheren Hier und Jetzt etwas mehr Raum in Dir. Fühlst du es schon?

Erschrick nicht vor deinen Empfindungen und mach dir klar, dass dein Körper heute als Erwachsene/r alles fühlen kann und diese Gefühle in eine frühere Zeit gehören. Sie wollen dir nicht schaden, sondern ihrer Natur folgend, einfach nur gefühlt werden. Öffne immer mehr dein Herz und begegne ganz bewusst diesem abhängigen Kind in dir, welches sich immer noch falsch, abgelehnt oder hilflos fühlt. Schau es vor deinem inneren Auge an und beweise ihm, dass es jetzt möglich ist alles zu fühlen, was damals viel zu bedrohlich erschien. Lass es ganz zu Dir, während dein Ritter schläft und sage ihm: „Du bist genau so richtig wie du bist. Ich kann jetzt fühlen wie schwer das für dich war. Du bist in mir sicher und geborgen. Ich bleibe immer für dich da. Für mich musst du nichts mehr tun. Schön das du da bist.“

Lass deinen Körper einfach fühlen und reagieren und bleib mit deiner ganzen Bewusstheit im sicheren Hier und Jetzt. Sag deinem Ritter: „Danke, dass du auf mich aufgepasst hast. Mit deiner Kraft habe ich in mein eigenes Leben gefunden. Ruh dich einfach weiter aus. Ich weiß, wie schwer das war. Im Hier und Jetzt bin ich sicher. Jetzt lasse ich mich selbst und das Leben geschehen.“

Weißt du eigentlich, dass dein inneres abhängiges Kind und dein um Freiheit kämpfender jugendlicher Ritter die gleiche unbewusste Absicht haben? Es geht um dein Herz, dein Potenzial, deine Vision oder wie immer du es nennst. Das Kind hat dein Herz in der Abhängigkeit beschützt und dein Ritter in der scheinbaren Unabhängigkeit dafür gekämpft. Jetzt ist es an der Zeit auch geistig erwachsen zu werden und zu erkennen, dass dein Herz keinen Schutz und Kampf mehr braucht, sondern Vertrauen.

Lass das Leben durch dich geschehen (n.W.Nelles) und schau wohin dein Herz dich führt. So findet die Zeit der geistigen Schwangerschaft mit seinen jahrelangen Wehen allmählich seinen Höhepunkt in dieser inneren Geburt zum Selbst.

Frohe Weihnachten

Kämpfe beenden und gelassener sein.