Wir alle sind die Kinder unserer Eltern, auch wenn wir vielleicht, aus welchen Gründen auch immer, nicht bei oder mit ihnen heranwachsen durften. Wir werden auch für unsere Eltern immer deren Kind bleiben, ob es uns bzw. ihnen recht ist oder nicht. Durch Symbiose sind wir mit unserem inneren Kind an unseren Ursprung gebunden, vor allem an die Mutter, als erste rundum schützende und allumfassend versorgende Heimat. Seit dieser Zeit im Mutterbauch sind wir der Notwendigkeit ausgesetzt, zwei Leben unter einen Hut zu bringen. Erstens, das Leben, welches uns, mit dem in uns angelegten ureigenen Potenzial, geschenkt wurde und zweitens, das Leben der Menschen, von denen wir abhängig sind, vor allem der Familie und den in ihr geltenden Gesetzen und (An-)Forderungen. Um uns in dieser Spannung sicher zu fühlen und weiter wachsen zu können, mussten wir als Kind unsere Eigenheit und Andersartigkeit, die jedes neue Leben mit sich bringt, in uns selbst verstecken. Wir haben genau gespürt und gefühlt, was wir tun oder lassen müssen, um Liebe, Zuwendung oder wenigstens einen sicheren Platz in der Familie (oder Ersatzfamilie) zu bekommen. In der absoluten Abhängigkeit des Kindes, ist dies die einzige Möglichkeit dazu zu gehören, sich sicher zu fühlen und zu überleben. In dieser Zeit wird die eigene Einzigartigkeit immer der sichernden Zugehörigkeit geopfert. Unser inneres Kind lebt im Wir-Bewusstsein (n.Nelles). Es erlebt den Schutzraum für Entwicklung und Entfaltung in der Gemeinschaft von Familie oder Ersatzfamilie. Es ist bereit, alles für dieses WIR zu geben. So fremd und einschränkend dies oftmals von heute aus betrachtet wirkt, ist es doch eine Form der abhängigen Liebe (n.Geßner), welche uns damals Sicherheit und Überleben ermöglicht hat.
Konflikte in Beziehung zu anderen Menschen oder Gruppen erleben wir heute, weil wir diese kindliche Überlebensbewegung aus abhängiger Liebe nicht bewusst sehen und schon gar nicht würdigen können. So kann es zum Beispiel sein, dass wir bei Meinungsverschiedenheiten nicht klar und offen zu unserem Standpunkt stehen bzw. nicht konsequent mit unserem Herzen entscheiden. Oft fangen wir dann an, unseren Ärger über die Folgen unseres Verhaltens auf Chef, Kollegen, Ehepartner, Kinder oder die Lebensumstände zu projizieren oder uns selbst Vorwürfe zu machen. Mit diesen äußeren und inneren Vorwürfen verurteilen wir unser inneres Kind unbewusst für das gezeigte Verhalten und erwarten von ihm eine Verhaltensänderung. Wir beginnen dann, an uns zu arbeiten und uns im gewünschten Sinne, mit viel Krafteinsatz, zu optimieren. Wir wollen dieses oft angepasste, ängstliche oder harmoniebedürftige Verhalten endlich in den Griff bekommen. Die eigentliche Tragik ist, dass wir auf diese Weise diesem Teil von uns selbst die Liebe und würdigende Annahme verwehren, welche wir uns im äußeren Leben so wünschen. Wir machen es innerlich mit uns selbst völlig unbewusst genauso, wie wir es in unserem damals prägenden Elternhaus erlebt haben. Das ging damals nicht anders, doch wir können heute, als Erwachsene, aus diesem Teufelskreis aussteigen und wieder lernen uns selbst würdigend und liebevoll zu begegnen.
Wir können jetzt erkennen, dass wir schon lange nicht mehr dieses Kind von damals sind und als Erwachsene frei und unabhängig unser eigenes Potenzial leben dürfen. Wir können jetzt bewusst wahrnehmen, dass da niemand mehr ist, der uns sagen kann, was für uns das Richtige ist. Wir entdecken vielleicht auch, dass wir privat keine Verantwortung mehr für andere tragen müssen, sofern wir keine minderjährigen Kinder mehr zu betreuen haben. Wir können heute die Verantwortung für uns selbst voll und ganz übernehmen und die der Anderen besser bei ihnen belassen. Diese Klarheiten helfen uns zunehmend bei uns selbst anzukommen und uns selbst die Liebe, Anerkennung und Wertschätzung zukommen zu lassen, welche wir uns so von außen wünschen. Wir lernen, uns als den Erfolg unserer bisherigen Geschichte zu sehen und entdecken, dass da nichts an uns falsch ist oder jemals war. Wir hatten uns auf unserem Entwicklungsweg nur vergessen oder abgetrennt, um weiterleben zu können. So ist es vielleicht an der Zeit, Ihr inneres Kind sowie all die anderen jüngeren Persönlichkeitsanteile wieder ganz ins Herz zu lassen und ihre befreite Kompetenz und Lebendigkeit zu spüren, während Gelassenheit wirklich erfahrbar und Selbstliebe zu einer immer stabileren inneren Haltung wächst.