Och nö, mögen Sie denken, schon wieder so schwere Kost von Problemen und was alles zu tun sei, um endlich eine vorbildliche und harmonische Beziehung zu führen. Doch keine Angst vor allzu plumpen Ratschlägen und abgedroschenen Beziehungstipps. Dazu sind schon reichlich Texte und ganze Bücher geschrieben, gelesen und in Regalen abgelagert worden. Dass diese oft auch sinnvollen Inhalte nur selten Routine in ihrem Alltag geworden sind, liegt übrigens weder am Buch, noch am Autor, noch an Ihnen als erwachsene Person. Doch dazu später mehr.
Hier geht es nicht in erster Linie darum, was Sie an ihrem Verhalten ändern sollten, sondern eher um eine Bewusstheit darüber, was die Hintergründe und Auslöser für Ihre erlebte Krise sind. Frei nach dem Motto: „Das Problem braucht erst ein Gesicht, bevor es gelöst werden kann.“ Wenn Sie diese Zusammenhänge erkennen und SEHEN lernen, was da gerade vor sich geht, entdecken Sie irgendwann auch, dass da niemand etwas lösen muss. Frei nach meinem geschätzten Lehrer Thomas Geßner, findet sich die Lösung im Problem. Es löst sich (auf). Was für eine entspannende Vorstellung, wenn im ausweglos scheinenden Kampf um Lösung, die Kräfte mehr und mehr schwinden. Was es wirklich braucht, sind SIE, offen, achtsam und präsent im Hier & Jetzt.
Ein erster wichtiger Aspekt ist der Begriff BEZIEHUNG. In der Krise könnte man meinen, dass dieser sich vom Wort ZIEHEN ableitet, was gefühlt ja stimmt, aber eben nur die Empfindung beschreibt. So wie an einem Seil, wo an jedem Ende einer ziehen muss, damit Spannung entsteht. Wer oder was da zieht und wie die Spannung wirklich entsteht, werden wir noch sehen. Hilfreicher und sinnvoller ist es, dem Wortstamm von BEZIEHUNG, dem BEZUG zu folgen. In der Beziehungskrise ist dieser nämlich in mehrfacher Hinsicht durcheinandergekommen. Um diese verstrickten Bezüge zu erkennen und in sich selbst wieder neu zu ordnen, ist das Modell der Bewusstseinsstufen (nach Wilfried Nelles) und der daraus hervorgehende Lebens-Integrations-Prozess (LIP) eine einfache und nachhaltige Möglichkeit.
Ein erster wichtiger Bezug, ist der Bezug zur zeitlichen Realität. Ich nehme an, Sie sind erwachsen und befinden sich mehr oder weniger in der Mitte ihres Lebens. Wissen Sie im Moment, wie jung Sie sind und welches Jahr gerade ist? Na klar. Das heißt in der Regel auch, dass Sie nicht mehr von ihren Eltern oder sonstigen Betreuungspersonen abhängig sind, stimmt´s? Das heißt meistens auch, dass Ihre eventuell vorhandenen Kinder schon alt genug sind, ihre eigenen Wege zu gehen und Sie nur noch bedingt verantwortlich sind, richtig? Das heißt oft auch, dass der evolutionäre Fortpflanzungsdrang und seine Auswirkungen in Familie und Beziehung langsam schwinden. Fakt ist, sie sind in Ihren Entscheidungen und Handlungen eigentlich frei! Sie entscheiden auch, mit wem Sie zusammen sein möchten! Sie spüren ihre Bedürfnisse und befriedigen diese! Sie setzen sich ihre Ziele und leben ihre Vision! Sie sind genau so richtig, wie Sie eben sind! Genau, wie Ihr Partner oder Gegenüber! Ist Ihnen diese Realität wirklich bewusst? Ist Ihnen klar, dass Sie nicht bedroht und in Ihrem Überleben sicher sind? Ja, ich weiß, dass dieser Zustand von vielfältigen Dingen auf dieser Welt bedroht und keinesfalls überall selbstverständlich ist und doch ist er hier in Deutschland seit einigen Jahrzehnten unsere Realität. Wenn uns und unserem Partner diese Aspekte immer bewusst wären, könnten wir uns offen über unsere Bedürfnisse und Wünsche austauschen und uns genug Bestätigung und Raum zur Verfügung stellen, um gemeinsam unsere einzigartige, reife Individualität zu leben. Was für eine Freude! Eigentlich ganz einfach, oder?
Woher, kommt dann der ganze Druck und Stress? Ach, Sie würden ja, wenn Ihr Partner, Ihre Eltern, Kinder, Vorgesetzten usw. nicht so wären? Tief in sich spüren Sie, dass es sich eigentlich um Vorwände handelt, welche Sie von konsequenter (Selbst-) Entwicklung und wirklicher Freiheit abhalten. Doch keine Sorge, daran ist nichts verkehrt. Es gehört zur menschlichen Entwicklung, besser noch: es ist menschliche Entwicklung. Dieser Prozess hat Sie sicher und erfolgreich seit Ihrer Zeugung am Leben gehalten. Ihm bewusst zu begegnen, heißt sich selbst und der eigenen Lebendigkeit zu begegnen. Sind Sie offen dafür?
Seit Ihrer Zeugung und der Zeit im Bauch Ihrer Mutter geht es nur um eins: ÜBERLEBEN. Der Körper muss in der Umgebung, in der er erscheint, am Leben bleiben und wachsen. Als Embryo im Bauch der Mutter ist keine Unterscheidungsfähigkeit vorhanden. Sie sind quasi neun Monate Ihre Mutter (indirekt auch ihr Vater) und deren Empfindungen, Gefühle und Erfahrungen sind automatisch Ihre erste Heimat. Ihr Körper mit seinen Zellen und Organen hat reflexartig auf die Umgebungsverhältnisse reagiert und sich immer so verhalten, dass das überlebensnotwendige und schützende Umfeld (Mutter) nicht belastet oder gar gefährdet wird. Es gibt in dieser Zeit noch kein (Selbst-) Bewusstsein, sondern eher ein SYMBIOTISCHES-EINHEITS-BEWUSSTSEIN* (n.W.Nelles). Wird also heute in Ihrem Erwachsenenleben ein Thema getriggert, was im Mutterbauch als bedrohlich geprägt wurde, werden sie vielleicht reflexartig und aufopfernd reagieren, um ihr Lebensumfeld zu sichern, auch wenn es heute noch so befremdlich oder sinnlos wirken mag. Damals im Mutterbauch war es nur so für Sie möglich zu überleben.
Nach der körperlichen Geburt sind Sie offiziell als Kind aus dem Bauch der Mutter entlassen und bemerken erstmalig den Unterschied zwischen ICH und dem DU in Form von Mutter und Vater. Sie sind durch die Trennung der Nabelschnur körperlich dann für immer zwei. So ist die Geburt in jeder Hinsicht ein unvermeidliches und gleichzeitig bedrohliches Unterfangen, denn es geht aus einer bedingt sichern Welt hinaus in ein unsicheres Neues, eine unbekannte fremde Umgebung. So mag sich die Geburt für das Ungeborene wie ein Sterben anfühlen, wo das, was bisher ALLES wahr, für immer losgelassen werden muss. Vielleicht der erste „kleine Tod“ in unserer Entwicklung des Bewusstseins. Jetzt ist die Familie der imaginäre Mutterbauch und der Garant für Sicherheit und Überleben. Der innere Vorgang, der Ihnen in dieser Zeit Sicherheit bringt, ist das FÜHLEN. So kann der körperliche Abstand zu Mutter und Vater überbrückt werden. Mutter und Vater fühlen, ob das Kind Zuwendung oder Nahrung braucht und das Kind spürt, auf welche Weise es bei den Eltern sicher sein kann und meldet lautstark seine Grundbedürfnisse an. Im späteren Verlauf der Kindheit lernt das Kind, welche Gefühle und Verhaltensweisen in der Familie gefährlich oder stressverursachend sind und welches Verhalten belohnt und zu Anerkennung und liebevoller Zuwendung führt. So wandelt sich das SYMBIOTISCHE-EINHEITS-BEWUSSTSEIN weiter zum GRUPPEN-BEWUSSTSEIN*, wo alles den Eltern und der Familie untergeordnet wird, um sich sicher zu fühlen. Wird also heute in Ihrem Erwachsenenleben, ein aus dieser Phase Ihres Lebens als bedrohlich geprägtes Thema getriggert, werden Sie vielleicht bestimmte Gefühle unterdrücken oder abwehren, Ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, zunehmende innere Anspannung tapfer aushalten und Lebendigkeit und spielerische Neugier darin einfrieren. So war es als Kind in dieser Lebensumgebung einfach am sichersten.
Doch irgendwann endet mit der Pubertät allmählich die Kindheit und die Sexualhormone treiben das Kind aus der Ursprungsfamilie hinaus in eine unbekannte Welt als junger Erwachsener. Nur außerhalb der bisherigen Familie, kann eine (Sexual-) Partnerin bzw. Partner gefunden werden, um eine eigene Familie zu gründen. Schon wieder ist es eine Zeit des Loslassens und Einlassen in das, was außerhalb des bekannten Schutzraumes der Ursprungsfamilie kommt. Auch diese Phase ist unvermeidlich und wird gleichzeitig als bedrohlich wahrgenommen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Pubertät durch „Gefühlswehen“ zeigt und mit ihrem Auf und Ab, alle Beteiligten hin und wieder in Panik versetzt. Es ist der nächste „kleine Tod“, welcher uns immer mehr hinaus ins individuelle Leben führt. In dieser Zeit beginnt sich das GRUPPEN-BEWUSSTSEIN zum ICH-BEWUSSTSEIN* zu formen. Das Kind muss herausfinden, wer es außerhalb dieser Familie ist und wie, wo und mit wem es sicher leben kann. Es ist die Suche nach dem Individuellen, welche manchmal Ausdruck in Haarfarbe, Kleidungsstil und exzentrischen Verhalten findet. In diesem hormonell gepushten Gefühlschaos wird das DENKEN zu einem wesentlichen Leitinstrument für Kontrolle und Sicherheit. Die oder der Jugendliche braucht eine Vorstellung davon, wie das eigene Leben aussehen soll, welche Ziele erreicht und welche Ideale verfolgt werden sollen oder was gar nicht geht. Die Peergroup oder auch Clique wird zum Übergangsschutzraum außerhalb der ursprünglichen Familie und das Denken erschafft eine (künstliche) Welt voller Vorstellungen über das, was ist und was sein sollte. Nur so ist eine halbwegs sicher erlebte Geburt ins Erwachsenenleben möglich. Wird nun heute bei Ihnen, ein als bedrohlich geprägtes Thema aus dieser Phase Ihres Lebens getriggert, werden Sie vielleicht nach Wegen und Lösungen suchen, die Ihren Vorstellungen entsprechen und viele Methoden ausprobieren, um die Dinge endlich in den Griff zu bekommen. Das ist in der Jugend das Sicherste gewesen.
Warum erzählt er das alles und was hat das nun mit meiner Beziehungskrise zu tun, werden Sie fragen? Weil wahrscheinlich ein nächster „kleiner Tod“ ansteht und Ihre Krisen in Form von „gedanklichen Wehen“ und körperlichem Energieverlust immer stärker werden. Es ist an der Zeit, als reifer Erwachsener die kontrollierenden Gedanken und Vorstellungen loszulassen und sich dem realen Leben im Hier und Jetzt immer mehr zu öffnen. Wieder ist es unvermeidlich und trotz (oder gerade wegen) bisheriger Vorerfahrungen bedrohlich wirkend. So ist das gedankliche Kontrollbedürfnis, gepaart mit Macher-Impulsen, das letzte Sicherungsbollwerk unseres ICH, als individuelle Persönlichkeit. Ihre Partnerin oder Ihr Partner sind echte „Geburtshelfer“, indem sie nah genug und vertraut genug mit Ihnen sind, um Ihnen als klare Projektionsfläche zu dienen. In dieser sicheren Vertrautheit können sich diese inneren Bewegungen überhaupt erst richtig zeigen. Leid entsteht, wenn Sie die Rettungsmanöver Ihrer jüngeren, inneren Persönlichkeitsanteile und die Ihres Partners ignorieren oder als Fehler verurteilen und auf die ein oder andere Weise dagegen vorgehen. Noch mehr Leid entsteht, wenn Sie ihm/ihr oder sich selbst dafür die Schuld geben. Gelingt allerdings früher oder später die Geburt vom individuellen ICH-BEWUSSTSEIN* in ein wirkliches SELBST-BEWUSSTSEIN*, wird freies Bewegen und bewegen lassen, ungehemmtes Fühlen und gedankliche Stille im HIER und JETZT zu ihrer neuen Heimat. Partnerschaft hat dann keine Überlebensfunktion mehr und hinter der Projektionsfläche Partnerin oder Partner zeigt sich wahre Schönheit, Freude und Liebe. Reibung wird es weiterhin geben, doch ob Sie an andauernden Beziehungskrisen leiden, haben Sie jetzt selbst in der Hand.
Ihr Ralf Winkler
(* nach Dr.W.Nelles, Nelles Institut)